DIALOG & TEXT
„Auch in Deutschland gibt es Debatten, die in Schieflage
und immer absurdere Verästelungen geraten, die aus
Ungeduld und Überforderung auf den kleinsten
digitalen Nenner heruntergebrochen werden.“
Eva Menasse, Alles und nichts sagen. Vom Zustand der Debatte in der Digitalmoderne, Köln 2023, S.129
Schauen – Fühlen – Reden
Gedanken zu einer demokratischen Kunstrezeption
von Erika Wäcker und Stefan Graupner
Im Moment kann man den Eindruck gewinnen, dass Kunst schon bevor sie betrachtet, gefühlt und besprochen wird, auf den Prüfstand einer stark emotionalisierten und aufgeheizten politischen Debatte kommt. Die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den aktuellen Krisenherden auf der Welt greifen so stark in den Kulturbetrieb ein, dass eine freie und unabhängige Kunst – und das Reden darüber – gefährdet erscheinen.
SG: Kann es ein Reden über Kunst geben, das nicht hierarchisch oder von politischen Großwetterlagen bestimmt ist?
EW: Jeder hat heute sofort eine (oft gefühlte) Meinung. Angeheizt durch die Schnelllebigkeit der digitalen Kommunikationskanäle sind die Reaktionszeiten so kurz, dass eine ruhig geführte Debatte dadurch überlagert wird oder in hitzigem Geschrei untergeht. Zugleich scheint der persönliche Betroffenheitslevel immer niedriger zu fallen. Die Erwartung, dass zunächst einmal eine künstlerische Position oder Haltung ausgehalten, unter verschiedenen Perspektiven in den Blick genommen und kontrovers diskutiert wird, bleibt allzu oft unerfüllt.
SG: Zu reden über das Werk ist ein Prozess, der Toleranz, Einfühlungsvermögen, Verständnis für andere Sichtweisen verlangt. Entspricht das auch dem Prozess, der den gesellschaftlichen Umgang miteinander in analogen und digitalen Kontexten widerspiegelt? Wenn man auf die Entwicklung der letzten Jahre schaut, wohl eher nicht.
EW: Was kann man dagegensetzten? Die 7. KloHäuschen Biennale kann en miniature exemplarisch vorführen, was Kunst und Kultur in einer Gesellschaft im positiven Sinn bewirken können. Die freien Kunsträume können unliebsame und kritische Positionen zeigen, die in staatlichen und städtischen Institutionen womöglich durchs Raster fallen. Sie arbeiten anders als die Galerien, die mit kommerziellem Interesse Kunsthandel betreiben. Oft am finanziellen Limit halten sie dennoch mit großem persönlichem Einsatz ein demokratisches Verständnis von freier Kunst aufrecht.
SG: Bei den Freien Räumen handelt sich um Initiativen, die Künstler*innen Plattformen für Dialoge und Diskussionen im kleinen intimen Rahmen bieten.
EW: Es besteht ganz offensichtlich ein großer Gesprächsbedarf. Es braucht den Dialog, der unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Positionen zulässt, frei von institutionellen, politischen und finanziellen Interessen. Wir von WÄCKER & GRAUPNER stoßen mit unseren Tischgesprächen zu kunst- und gesellschaftsrelevanten Themen beim Publikum auf große Resonanz.
SG: Das Reden über Kunst unter Ausschluss einer Öffentlichkeit, ohne Verschriftlichung ist ein deutlich anderes Reden. Es ist ein vorsichtiges Suchen und Herantasten mit Worten in einem privaten Rahmen. Nicht dem Meinungsmainstream folgen zu müssen, wird als entlastend empfunden.
EW: Voraussetzung für eine gelingende Debatte ist ein respektvoller Umgang miteinander, auch wenn mein Gegenüber eine andere Haltung hat. Man sollte immer mit bedenken, dass auch der andere recht haben könnte.
Wir müssen ins Gespräch kommen. An der Kunst können wir die Kompetenzen dazu erwerben. Die 7. KloHäuschen Biennale mit ihren über 30 teilnehmenden Institutionen und über 200 künstlerischen Positionen bietet die Voraussetzungen für ein solches Erproben in Schauen, Fühlen und Reden.
WÄCKER & GRAUPNER, das sind Dr. Erika Wäcker-Babnik und Dr. Stefan Graupner, zwei Kunsthistoriker, die auf die Bildende Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisiert sind. Als Team bündeln sie seit 2011 ihr Know-How.
Unter anderen realisieren sie Ausstellungen und Tischgespräche und waren im Jahr 2023 Betreiber von „achtzehnkommazwei – Raum für Kunst“, einem kleinen Projektraum in der Georgenstraße 72.